Projekt Flurnamen
Zur Deutung der Flurnamen und Funktion von Flur-, Orts- und Gewässernamen
Paul Gierse, Bestwig
Der Heimatbund der Gemeinde Bestwig befasst sich seit einiger Zeit mit der anspruchsvollen Aufgabe, die Flurnamen in der Gemeinde Bestwig zu deuten. Dabei werden wir maßgeblich von dem Sprachwissenschaftler Dr. Beckmann aus Cobbenrode unterstützt.
Flurnamen sind wichtige Zeugnisse unserer Heimat. Sie dienen der räumlichen Orientierung. Man kann sie auch als „Fußabdrücke in der Landschaft“ bezeichnen. Die Namen für Grundstücksflächen und Gemarkungen sind seit Jahrhunderten gleich oder haben sich weiterentwickelt. Insofern dienen sie auch als geschichtliches Archiv. Die Flurnamen sind heute nur noch wenigen Personen bekannt. Es droht die Gefahr des Vergessenwerdens. Dann würde eine geschichtliche Quelle versiegen. Der Heimatbund der Gemeinde Bestwig möchte aber, dass die Flurnamen und deren Bedeutung erhalten bleiben. Deshalb wird mit den Ortsheimatpflegern und weiteren interessierten Personen an der Aufarbeitung der Flurnamen in der Gemeinde Bestwig gearbeitet. Vorausgegangen war die umfangreiche Erfassung der Flurnamen unter der Federführung des ehemaligen Ortsheimatpflegers Reinhard Schmidtmann. Weiterhin fanden Informationsveranstaltungen statt.
Bei seiner Arbeit wird der Heimatbund maßgeblich durch den Sprachwissenschaftler Dr. Werner Beckmann aus Cobbenrode, der das Sauerländer Mundartarchiv leitet, unterstützt.
Dr. Werner Beckmann, Cobbenrode. Text in Jahrbuch des Heimatbundes Bestwig 2019, S. 30ff
1. Funktion der Benennung
Was ist ein Name? Die objektive Antwort lautet: Die Benennung eines Menschen, eines Tieres oder auch von Sachen.
Die Namensvergabe hat zunächst eine praktische Funktion: Sie dient der Orientierung. Wenn mehrere Menschen miteinander leben, müssen sie unterschieden werden; deshalb erhält jeder von ihnen eine individuelle Bezeichnung, damit er nicht mit anderen Menschen aus seiner Gemeinschaft verwechselt werden kann. Der menschliche Name ist so eng mit seinem Träger verbunden, dass dieser sich mit seinem Namen identifiziert, sich sozusagen mit seinem Namen gleichsetzt. Im täglichen Leben wird das an Beispielen wie diesem deutlich: Der Walter wird statt mit seinem Namen mit Willi angesprochen – sofort ertönt der Protest, dass das nicht der rechte Name sei. Dieses Motiv ist im Märchen der Gebrüder Grimm vom Semiliberg verarbeitet: Der Berg hat nämlich den Namen Semsi, und als ihm nun zugerufen wird: “Berg Simeli, Berg Simeli, tu dich auf!“ geschieht das nicht, und der Erzähler gibt als Begründung an: “Das war der rechte Name nicht.“
Oder aber jemand findet seien Namen in falscher Schreibweise vor: Da schreibt jemandem dem Walter mit folgender Anrede: „Lieber Walther“. Das ist wiederum nicht der rechte Name, und sein Träger wird es gegenüber dem Schreiber kommentieren, dass das – h – ein Buchstabe zu viel ist. Auch die Bibel und die christliche Liturgie liefern Beweise dafür, dass der Name und sein Träger als eine untrennbare Einheit empfunden werden. Daher kommen solche Wendungen wie: „Gelobt sei der Name des Herrn!“ Gemeint ist aber: “Gelobt sei der Herr!
Aus einem solchen Bewusstsein rührt auch das Motiv des Rumpelstilzchens: Das Männchen ist sich sicher, weil es glaubt, dass die Königstochter seinen Namen nicht erraten werde. Das geschieht aber wider Erwarten doch. Infolge des Wissens, wie das Männchen heißt, oder, anders gesagt: wer es ist – gewinnt die Gegnerin Macht über ihren Peiniger und erreicht dadurch seine Vernichtung, die im Märchen sehr drastisch dargestellt wird: Das Männchen „riss sich selbst mitten entzwei“ seine Identität wird dadurch völlig ausgelöscht. Hier wird deutlich gezeigt, dass der Name und die Person (= Namensträger) identisch sind.
Eine geläufige Redensart unterstreicht dies: „Wann me vamme Duiwel kuiert, dann kümmet´e. Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er.“ Die Redensart wird dann verwendet, wenn man von jemandem spricht und dieser plötzlich unerwartet erscheint. Scheinbar hat die Nennung des Namens bewirkt, dass sein Träger erschienen ist – aber eben nur scheinbar.
Der Mensch bedenkt aber nicht nur seine Artgenossen und andere Lebewesen mit für diese geeignete Bezeichnungen, sondern auch sein Umfeld, seine Umwelt, und dazu gehören auch die Orte, an denen er lebt. Die Ortschaften menschlichen Lebens sind von vielerlei Gestalt, man kann dabei zwei Hauptgruppen unterscheiden: Das Land und das Wasser.
Landschaftsformen sind vielfältig, z.B. die Ebene, der Berg, der Hügel, das Tal. Das Wasser tritt in fließender und in stehender Form auf: Meer, See, Fluss, Bach.
2. Motive der Benennung
Wenn der Mensch einen Namen vergibt, so geschieht das nicht völlig willkürlich, sondern in der Regel aufgrund eines Motivs. So ist er erste Träger des Namens Langnese nach seiner auffallend langen Nase genannt worden; jemand der den Namen Cobbo erhalten hat, wurde mit einer Spinne verglichen – das niederdeutsche Wort Cobbo bedeutet „Spinne“ – wahrscheinlich deshalb, weil seine Leibesform eher rundlich war: Eine Spinne im Ruhezustand sieht aus wie ein rundlicher Fleck.
Was für die Bezeichnungen des Menschen gilt, das gilt auch genauso für seine Umwelt und damit auch für die Landschaft, in der er lebt. Auch hier sind charakteristische Merkmale ausschlaggebend für das Benennungsmotiv.
Ein Beispiel hierfür ist der Fluss Möhne, der bezüglich des Ursprungs denselben Namen trägt wie der Main. Die beiden Flussnamen lassen sich letztlich zurückführen auf ein ursprachliches Wort, das „fließen“ bedeutet, und das im lateinischen Verb manäre „fließen“ wiederkehrt. Möhne und Main bedeuten daher weiteres als „Fließendes“, fließendes Gewässer“.
Ein anderes Beispiel: Der Gipfel einer Anhöhe wird oft als Kopf, niederdeutsch Kopp, bezeichnet. Das Motiv ist der Kopf von Lebewesen: Er stellt die Spitze, oder, etwas salopp ausgedrückt, das obere Ende eines Körpers dar, vor allem von zweibeinigen Lebewesen. So ist auch der Schwanz, in der Bestwiger Mundart Steet, nicht nur ein Körperteil am Ende eines Tierkörpers, sondern auch ein am Ende einer (politischen) Gemeinde liegender Ort.
Die Motive der Benennung sind vielfach:
a. Die Lage
Manche Flurstücke werden nach ihrer Lokation benannt: An der langen Brücke, hinterm Hof, ober dem Winkel, unterste Wiese, zwischen den Dörfern usw.
b. Die Form
Viele Flurstücke erinnern mit ihrer Form Van bestimmte Dinge oder Körperteile von Lebewesen; so Am Knochen, Stertberg.
c. Die Beschaffenheit
Die meisten Flurstücke werden nach ihrer Beschaffenheit benannt: ob sie tief oder hoch liegen, nach dem Pflanzenwuchs, nach Tierarten, die an besagter Stelle häufig vorkommen; nach der Bodenart, nach ihrer Nähe zu Gewässern oder Felsen (Steinen). Gewässer selbst sind oft nur als „Wasser“ oder Fließendes bezeichnet.
d. Die Nutzung/Funktion
So schlägt sich unter anderem die Haltung von Pferden oder die Eichelmast von Schweinemast in Flurbenennungen nieder.
3. Deutung von Namen
Dennoch ist die Forschung nach dem Ursprung und der Bedeutung heutiger Namen oft sehr mühsam, manchmal sogar ergebnislos, und dies gilt insbesondere für Orts-, Gewässer- und Flurnamen. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen:
a. Die Sprache entwickelt sich ständig weiter. Das Niederdeutsche (Plattdeutsche), dass vor tausend Jahren gesprochen wurde, entspricht beileibe nicht mehr den Dialekten von heute der alte Sprachzustand ist für uns zumeist sogar unverständlich. Die Übersetzung des Altniederdeutschen Satzes „Ik quithu mith suno minemu“ dürfte den des Altniederdeutschen Unkundigen nicht auf Anhieb gelingen: „Ich spreche mit meinem Sohn“. Das gilt auch für andere Sprachen und Mundarten.
Die damaligen Namensformen haben sich im Verlaufe der Jahrhunderte oftmals bis zur Unkenntlichkeit verändert. Wenn aber der Name in einem sehr frühen sprachlichen Stadium schriftlich belegt ist, kann man oft eine eindeutige Klärung abgeben. Ist dies aber nicht der Fall, muss man mit der Deutung eines solchen Namens vorsichtig sein.
Dazu ein Beispiel: Der heutige Ortsteil Ende von Herdecke an der Ruhr hat nichts mit dem Wort „Ende, Schluss“ zu tun, obwohl viele Einheimische das glauben, zumal der Ortsteil wirklich an der Grenze des Stadtbereichs Herdecke liegt. Doch wird dieser Ort schon im 9. Jahrhundert erwähnt, und hier findet sich die Form des Namens emnithi, das aus älterem *evanithi entstanden ist. Erst dadurch wird die Wortform „durchsichtig“, man kann sie in zwei Bestandteile auflösen: altniederdeutsch evan bedeutet „eben, flach, ebenerdig“ und ithi ist ein Suffix, das auf einen besiedelten Ort hinweist.
b. Bevor germanische Völkerschaften unsere Gegenden besiedelt haben, waren höchstwahrscheinlich schon andere Völkerschaften mit fremden Sprachen hier ansässig. Die später nachrückenden germanischen Siedler haben auch Geländenamen ihrer fremdsprachlichen Vorfahren übernommen. Solche Namen aus unbekannten Sprachen sind heute vielfach nicht mehr zu erklären.
c. Vor allem bei der offiziellen Aufzeichnung von Geländenamen durch die Katasterämter wurden manchmal Namensformen eingetragen, die, wenn man keine weiteren Hilfsmittel hat, zu falscher Erklärung führen können. Hier wieder ein Beispiel: Im Ortsteil Riemke der Stadt Bochum fließt der Osterbach. Er wird als Bach aus dem Osten gedeutet, da seine Fließrichtung tatsächlich von Osten nach Westen geht. Aber die mundartliche Form des Namens Osterbieke weist auf eine andere Erklärungsmöglichkeit: Die Silbe Öl- stellt ein altes Wort für „Wasser“ dar, das nachfolgende -ster bezeichnet eine Zugehörigkeit. Als die Bezeichnung Ölster nicht mehr verständlich war, wurde -bieke zugefügt, um das ganze als Gewässernamen zu kennzeichnen. Dies zeigt, dass mundartliche Formen eines Namens für dessen Deutung eminent wichtig sind.
Das bedeutet, dass Namensforscher auch manchmal den Mut haben müssen, zuzugeben, dass sie bei bestimmten Namen nicht zu einer Deutung und/oder Klärung gelangen können.
Hier finden Sie die ersten Ergebnisse über die Flurnamen:
- Andreasberg, Dörnberg und Wasserfall wurden im Jahrbuch 2019 des Heimatbundes veröffentlicht
- Die Heringhauser Flurnamen können im Jahrbuch 2020 nachgelesen werden
- Im Jahrbuch 2021 sind die Flurnamen von Nuttlar und Grimlinghausen veröffentlicht
- Das Jahrbuch 2022 beinhaltet die Flurnamen von Ostwig
- Ramsbeck, Berlar und Valme wurden im Jahrbuch 2023 berücksichtigt
- 2024 stand die Deutung der Flurnamen von Velmede, Bestwig
- 2025 folgen die Flurnamen von Föckinghausen, Halbeswig und Nierbachtal
Die Angaben zu Fußnoten und Literatur finden Sie in den einzelnen Artikeln der Jahrbücher!
Unten ein Karte aus dem Ur – Kataster von 1826. Zu dem Zeitpunkt vorhandene Gebäude in schwarz, anschließend errichtete in rot.